Bildungsfragen: Auf die Lehrer kommt es an, aber auch auf die Eltern! Zu Michael Feltens Plädoyer "Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule ..." (Michael Felten: Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule. Güterloh 2010. 2. Auflage: Güterloh 2011)
Erfolgsvoraussetzungen selbstregulierten Lernens:
Die leidige und oft falsche Diskussion der PISA-Ergebnisse
Die Diskussion nach der Bildungsstudie PISA (ab dem Jahr 2000) ist ein Musterbeispiel für Fehlbeurteilungen. Eine methodisch korrekte Auswertung der Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie in dem empfehlenswerten Aufsatz von
Ludger Wößmann: Familiärer Hintergrund, Schulsystem und Schülerleistungen im internationalen Vergleich. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22/2003, S. 33-38, http://www.bpb.de/files/J5B0W9.pdf (2003-10-12).
Die meisten Schlussfolgerungen in der öffentlichen Diskussion sind methodisch nicht korrekt! Kaum verständlich ist es, wenn z.B. aus PISA abgeleitet wird, Rechtschreibung müsse einen höheren Stellenwert auch außerhalb des Deutschunterrichts haben: PISA hat die Lese-, nicht die Rechtschreibkompetenz getestet! (2003-10-12).
Zu diesen typischen Fehler siehe allgemeinverständlich Kapitel III. Warum es einer wissenschaftlichen Herangehensweise bedarf.
Die PISA-Ergebnisse und die Planungen werden jetzt direkt von der OECD veröffentlicht:
Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen - Vorläufige Leitsätze des Forum Bildung
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1. | Schule darf kein Kind benachteiligen | Alle Heranwachsenden - besonders Talentierte ebenso wie auch weniger Begabte - haben das Recht auf eine möglichst gute Förderung ihrer tatsächlichen Fähigkeiten. Ein gegliedertes und optimal durchlässiges Schulsystem - zunächst gemeinsame Grundschule, dann weiterführende Schulen mit unterschiedlichen Niveaus und vielfältigen Übertrittsmöglichkeiten - vermag dies angemessen zu leisten. Darüber hinaus kann eine behutsame innere Differenzierung zweckmäßig sein - bedenklich ist hingegen ein 'autonomes' Auseinanderdriften von Schulprofilen. |
2. | Schule muß vor allem ein Ort des Unterrichts sein. | Junge Menschen sollen möglichst gut auf eine
mündige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vorbereitet werden. Aufgabe
der Schule ist hierbei insbesondere, möglichst umfassend über die Welt aufzuklären,
also altersgemäß grundlegende und bedeutsame Kenntnisse, Fähigkeiten und
Fertigkeiten zu vermitteln. Insofern fachlicher Unterricht in einem pädagogisch geleiteten sozialen Rahmen stattfindet, beinhaltet er also immer auch schon eine (keineswegs marginale) erziehende Dimension. Diese gilt es zu nutzen. Dagegen sind gesonderte Psychospiele und andere therapeutisch zu verstehende Maßnahmen, die der Entspannung, Selbstwertförderung oder gar Persönlichkeitsveränderung dienen sollen, aber auch bedenklich in Persönlichkeitsrechte eingreifen, überflüssig - wenn nicht illegitim. |
3. | Unterrichtskonzepte müssen lernpsychologisch fundiert sein | Schule ist für die Entwicklung junger Menschen ein zu wichtiger und für die Gesellschaft zu kostspieliger Ort, als daß sie ein Tummelplatz unüberprüfter methodischer Experimente sein dürfte. Vernünftig sind nur solche Lehr- und Lernmethoden, bei denen nachweislich ein hinreichender Lernzuwachs stattfindet. Dieser stellt sich nach aller Erfahrung dann ein, wenn Schüler sich möglichst intensiv und aktiv mit gehaltvollen Sachverhalten auseinandersetzen. Das kann durch Erklärungen des Lehrers und in erarbeitenden Klassengesprächen ebenso geschehen wie bei wohlstrukturierter Projektarbeit - und nicht zuletzt beim selbständigen oder gemeinsamen Vorbereiten auf Prüfungen. |
4. | Ohne fachliches Lernen keine Schlüsselqualifikationen | Belastbarkeit und Kreativität, Teamfähigkeit und Selbständigkeit sind hochkomplexe Fähigkeiten, die einer jahrelangen sukzessiven Entwicklung bedürfen. Hierfür sind geordnete fachbezogene Lernprozesse, die eine altersgemäße Balance von Lenkung und Freiräumen aufweisen, ebenso unverzichtbar wie die selbstverständliche Orientierung an grundlegenden sozialen Regeln - auch wenn diese zeitweise zu Unrecht als 'Sekundär'tugenden diskreditiert waren. |
5. | Eine gute Schule kann nicht ständig Spaß machen | Erfolgreiches Lernen ist vielfach nicht nur angenehm, sondern bedeutet Gründlichkeit und Anstrengung, Aushalten von Belastungen und Überwinden von Widerständen. Wer in einer modernen Gesellschaft frei und mündig werden möchte, sollte sich auch mit Sachverhalten auseinandersetzen, die ihn zunächst nicht interessieren oder mit denen er vielleicht niemals vertieft befaßt sein wird - er hat dann aber seine geistigen Kräfte sinnvoll geschult und sich zudem fachliche Optionen erworben. |
6. | Lehrer dürfen weder Kumpel noch Therapeuten sein | Lehrer müssen sachbezogene wie soziale Anforderungen stellen, sind also mehr als nur freundliche 'Lernarrangeure' oder 'Lebensbegleiter' - und schon gar nicht überflüssig beim Lernen. Der gute Lehrer gibt nicht nur den Schülern das Wort, er führt sie vielmehr aktiv und kompetent, verständlich und aktivierend an zunehmend anspruchsvollere Sachverhalte heran, er berät und unterstützt sie geduldig und ermutigend beim Erarbeiten und Üben, und er sorgt dafür, daß der Lernprozeß nicht unnötig gestört wird. |
7. | Noten sind hilfreiche Orientierungen beim Lernen | Heranwachsende brauchen beim Lernen nicht nur sachliche Korrekturen und persönliche Ermutigung, sondern auch verständliche und vergleichbare Beurteilungen. Zeugnisse und Gutachten, die lediglich die Fortschritte und das Bemühen von Lernenden würdigen und die keine verbindliche Eignungsaussage machen, behindern eine angemessene Schulformwahl. Insofern stellen Noten wichtige Kurzsignale im Hinblick auf Lernerfolg und Leistungsentwicklung dar. |
8. | (Selbst-)Disziplin erleichtert nicht nur die Schule, sondern auch das Leben | Erwachsenwerden heißt auch, die eigenen Regungen beherrschen zu lernen und Einfühlsamkeit anderen gegenüber zu erwerben - also emotionale Intelligenz zu entwickeln. Gerade angesichts zunehmender Verunsicherung im Bereich der Familienerziehung muß eine solche Disziplin im schulischen Miteinander unmißverständlich gefordert und nachhaltig gefördert werden. |
9. | Sinnvoll ist eine Elternmitarbeit, die schulische Anforderungen unterstützt | Eltern können mehr für ihr Kind tun, als gegen vermeintlich ungerechte Bewertung zu kämpfen oder sich in Mitbestimmungsgremien zu engagieren: Sie sollten sein Lernen aufmerksam begleiten und ihm bei Schwierigkeiten geeignet Mut machen; sie sollten sicher sind, daß ihr Kind gerne etwas leistet, aber auch eine weiterführende Schule auswählen, die es nicht überfordert; sie sollten sich auf Elternabenden informieren und die Sprechstunden der Lehrer nutzen - und vielleicht gar eine private Hausaufgabenbetreuung organisieren. Nicht zuletzt sollten sie auch ihre Erziehungsaufgabe in ausreichendem Maße wahrnehmen. |
10. | Schule darf Kinder nicht gleich machen wollen | Jedes Kind kann in der Schule mannigfach gefördert werden; Kinder bringen aber auch bereits unterschiedliche Voraussetzungen in die Schule mit - und sind je individuelle Persönlichkeiten. Keine Schule ist in der Lage, alle Heranwachsenden auf das gleiche Fähigkeitsniveau zu bringen - und nicht berechtigt, ihre Einstellungen gleichzuschalten. |
Die KMK zur Qualitätssicherung und Leistungsmessung in der Schule
informiert darüber im Internet unter: http://www.kmk.org/schul/pisa/verglei.htm
Literatur zu Bildungsfragen (zusammengestellt von Michael Felten, Köln) |
Aurin, Kurt/Wollenweber, Horst: Schulpolitik im Widerstreit. Klinkhardt Bad Heilbrunn 1997 |
Aschersleben, Karl: Moderner Frontalunterricht. Peter Lang Frankfurt 1987 |
Baumert, J., Lehmann, R. u.a.: TIMSS - Mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht im internationalen Vergleich. Opladen 1997 (Leske und Budrich) |
Baumert, J. und Köller, O.: Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter. 1998 |
Brezinka, Wolfgang: Die Pädagogik der neuen Linken. Reinhardt München/Basel 1981 |
Elschenbroich, Donata (Hg.): Anleitung zur Neugier. Grundlagen japanischer Erziehung. Suhrkamp Frankfurt 1996 |
Felten, Michael (Hg.): Neue Mythen in der Pädagogik. Warum eine gute Schule nicht nur Spaß machen kann. Auer Donauwörth 1999 |
Frech-Becker, Cornelia: Fördern heißt Fordern. Eichborn Frankfurt 1995 |
Hensel, Horst: Die Neuen Kinder und die Erosion der Alten Schule. Kettler Bönen 1994 |
Giesecke, Hermann: Wozu ist die Schule da? Die neue Rolle von Eltern und Lehrern. Klett-Cotta Stuttgart 1996 |
Giesecke, Hermann: Die pädagogische Beziehung. Juventa Weinheim und München 1997 |
Giesecke, Hermann: Pädagogische Illusionen. Lehren aus 30 Jahren Bildungspolitik. Klett-Cotta Stuttgart 1998 |
Giesecke, Hermann: Pädagogische Illusionen. Lehren aus 30 Jahren Bildungspolitik. Klett-Cotta Stuttgart 1998 |
Günther, Henning: Kritik des offenen Unterrichts. Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft Harsewinkel 1996 |
Kraus, Josef: Spaßpädagogik. Sackgassen duetscher Schulpolitik. Universitas München 1998 |
Ladenthin, Volker (gemeinsam mit Rekus, Jürgen und Hintz,
Dieter): Die Hauptschule. Alltag, Reform, Geschichte. Juventa Weinheim und München 1998 |
Lück, Immanuel: Alarm um die Schule. 1979 |
Maier, Hans: Standort Deutschland - Tatort Gymnasium. Selbstverlag 1996 (Gaisbergstraße 8, 81675 München, Telefon 089-47027427) |
Nelsen, Jane: Kinder brauchen Ordnung. Goldmann München 1991 |
Otten, Kurt: Die Maßlosen, die Arglosen und die Kopflosen. Heidelberg 1993 |
Rehfuß, Wulff D.: Bildungsnot. Hat die Pädagogik versagt? Die Fehler von gestern und die Aufgaben von morgen. Klett-Cotta Stuttgart 1997 |
Schoeck, Helmut: Kinderverstörung. Mut Asendorf 1987 |
Schoeck, Helmut: Ist Leistung unanständig? Mut Asendorf 1988 |
Schirlbauer, Alfred: Junge Bitternis. Eine Kritik der Didaktik. Wiener Universitätsverlag 1992 |
Schirlbauer, Alfred: Im Schatten des pädagogischen Eros. Destruktive Beiträge zur Pädagogik und Bildungspolitik. Sonderzahl Wien 1996 |
Uhl, Siegfried: Die Pädagogik der Grünen. Ernst Reinhardt München/Basel 1990 |
Weinert, Franz E. (Hg.): Psychologie des Unterrichts und der Schule. Hogrefe Göttingen 1997 |
Felten, Michael (Hg.): Neue Mythen in der Pädagogik |
Warum eine gute Schule nicht nur Spaß machen kann.
Ein bildungspolitisches Lesebuch
Auer Verlag, Donauwörth, 1. Auflage 1999, 176 S., kartoniert, 24,80 DM
Zum Inhalt
Schule muß Spaß machen? Selbstbestimmt lernt am besten? Leistungsdruck - nein
danke? Die ehrwürdigen Parolen der reformpädagogischen Debatte erwecken den
Eindruck, als gelte es immer noch, junge Menschen von der 'Pauk- und Drillschule'
zu befreien. Dabei haben wir es längst mit einer 'neuen Jugend' zu tun, die
auf eine zunehmend anspruchsvollere Zukunft vorbereitet sein will.
Die jüngsten Bildungsstudien haben zudem gezeigt, daß unsere Kinder erhebliche Defizite bei Fachleistungen und Sozialverhalten aufweisen. Gegen die neuen Mythen der früher einmal progressiven Pädagogik ist deshalb zu fragen: Schule um jeden Preis neu denken - oder richtig denken?
In diesem Buch zeigen Erziehungswissenschaftler und Schulpraktiker, daß das vermeintlich 'humane Lernen' seine Versprechen nicht hält, ja daß es neue Benachteiligungen schafft. Demgegenüber plädieren die Autoren für eine Schule, die die Anstrengungen des Lernens nicht leugnet - weil sie zum Glück des Könnens verhelfen möchte.
Die einzelnen Beiträge des Bandes
Einführung | Es gibt eine Bildungsmisere - aber man kann etwas dagegen tun |
Wulff Rehfus | Die Verteidigung der Kinder gegen die Pädagogik |
Alfred Schirlbauer | 'Humanes Lernen' - eine Mogelpackung |
Hans Maier | Praxisorientierung, oder "Wozu brauch' ich das?" |
Hermann Giesecke | Erziehung statt Unterricht? |
Volker Ladenthin | Von der Gefahr, das Lernen zu verspielen |
Michael Felten | Auf den Lehrer kommt es an |
Reinhard Schilmöller | Noten und Zeugnisse: pädagogisch fragwürdig? |
Cornelia Frech-Becker | Fördern heißt Fordern |
Ulrich Sprenger | Warum ich meine Kinder heute nicht mehr auf eine integrierte Gesamtschule schicken würde |
Ausblick | Schule richtig denken - einige Schlußfolgerungen |
Zentrale Thesen: s. ausführlicher oben Thesen zur Bildungspolitik
1. Schule darf kein Kind benachteiligen.
2. Schule muß vor allem ein Ort des Unterrichts sein.
3. Unterrichtskonzepte müssen lernpsychologisch fundiert sein.
4. Ohne fachliches Lernen keine Schlüsselqualifikationen.
5. Eine gute Schule kann nicht ständig Spaß machen.
6. Lehrer dürfen weder Kumpel noch Therapeuten sein.
7. Noten sind hilfreiche Orientierungen beim Lernen.
8. (Selbst-)Disziplin erleichtert nicht nur die Schule, sondern auch das Leben.
9. Sinnvoll ist eine Elternmitarbeit, die schulische Anforderungen unterstützt.
10. Schule darf Kinder nicht gleich machen wollen.
Links (Organisationen, sonstige Informationsangebote) |
Links zu Fachinstitutionen: KMK / BLK / MPIB / MPIPF |
KMK (Kultusministerkonferenz): http://www.kmk.org/schul/home.htm
Die KMK gibt folgenden Überblick über ihre schulpolitische Arbeit:
Grundsätzliches Ziel der Arbeit der Kultusministerkonferenz im Schulwesen ist die Sicherung einer gemeinsamen und vergleichbaren Grundstruktur der Bildungsgänge. Themenschwerpunkte sind Fragen der gegenseitigen Anerkennung von Zeugnissen, der Ordnung des Schulwesens, des Unterrichts und der Lehrerbildung.
Im Jahr 1998/99 standen folgende Themen im Vordergrund der Beratungen der Kultusministerkonferenz:
BLK (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung): http://www.blk-bonn.de/
Max-Planck-Institut
für Bildungsforschung Berlin (MPIB):
http://www.mpib-berlin.mpg.de/
Verantwortlich und ©
Copyright: Prof. Dr. Burkhardt Krems |
Version
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